Swami Omkarananda
Das Bild Gottes als Bild des Menschen

Gesegnete Offenbarungen des unendlichen göttlichen Bewusstseins, Ihnen allen bringe ich meine von Herzen kommende Anbetung dar!

Sicher werden sich manche von Ihnen darüber wundern, so angesprochen zu werden, und Sie haben ganz recht, wenn Sie von mir eine Erklärung über das Bild des Menschen verlangen, das eine solche Anrede rechtfertigt.

Jeder, der um vertiefte Einsicht in die fundamentale Wirklichkeit in der inneren Konstitution des Menschen bemüht ist, wird schliesslich zu der Feststellung gelangen, dass der Mensch die unvergängliche Essenz in einer vergänglichen Form darstellt. Es dürfte ihm kaum entgehen, dass es sich beim Menschen um das Unwandelbare in einem sich ständig wandelnden Bereich handelt, um eine Formulierung des ewigen und unendlichen göttlichen Bewussseins - eines Bewusstseins voller Freude. Schönheit, Güte und Vollkommenheit - (las von einer sich entwickelnden Psyche umhüllt ist und sich in einem Leben der Begrenzungen befindet, einem Leben der Freuden und Schmerzen, des Guten und Bösen. Von diesem Standpunkt aus bitte ich die Art meiner Anrede zu verstehen.

Trotz der Tatsache, dass wir in mancherlei Hinsicht besonders was Wissenschaft und Technik anbetrifft - in einem staunenerregenden Zeitalter leben, ist unser grundlegendes Wissen über den Menschen doch noch so bruchstückhaft und unentwickelt, dass es der Menschheit bei ihren Bemühungen um wahren Frieden, um wahres Glück, um Fortschritt und Vervollkommnung nicht viel nützen kann.

Uns, den Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts. wurde (las Privileg zuteil, den ersten Menschen auf den Mond befördert und dadurch einer neuen Sichtweise die Tore geöffnet zu haben, die sich aus diesem Ereignis und anderen Glanzleistungen des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes und dem dadurch erweiterten Wissenshorizont ergibt. Dank dieser Tatsachen haben sich unsere Perspektiven innerhalb unseres physikalischen Zeit-Raum-Umversurns erheblich erweitert.

Unsere Vorfahren sprachen vom Sonnenaufgang und vom Mondaufgang. Unsere Generation spricht - vom Mond aus gesehen - vom Erdaufgang. Die Menschheit verzeichnet heute, was die Wissenschaft anbetrifft, ungeheure Fortschritte, und gerade daraus erwachsen ihr neue Möglichkeiten, die letzte Wirklichkeit im Kosmos und in der inneren Beschaffenheit des Menschen leichter zu erfassen. Wenn der wahre Fortschritt in den Human- und Naturwissenschaften auch nicht dazu beitragen konnte, uns dem wahren Frieden und Glück, der Einheit oder dem wahren inneren Fortschritt des Menschen näherzubringen, so können wir doch feststellen, dass uns dieser unglaubliche Fortschritt auf verschiedenen modernen Wissensgebieten einem Verständnis der ursprünglichen und grundlegenden Wirklichkeit näherbringt, der Wirklichkeit, die alles im Kosmos Offenbargewordene erhält.

Der Mensch ist der selbstbeobachtende und allbeobachtende Erfahrende im weiten Bereich kosmischer Manifestation. Er ist das erfahrende Subjekt, und alles im Kosmos Offenbargewordene ist sein Erfahrungsbereich. Die Geheimnisse der Schöpfung haben in seiner inneren Konstitution ihren Sitz. Ja mehr noch: der Schlüssel zum Rätsel von Dasein und Wesen des unendlichen Schöpfers, oder Gottes, liegt im inneren Sein des Menschen. Er ist nicht nur der Mikrokosmos im Makrokosmos; er trägt vielmehr die ganze noumenale Wirklichkeit in sich. Natur und Gott befinden sich in ihm. Er ist die Antwort auf alle Fragen, die sich auf die Natur und auf Gott, als den Schöpfer der Natur, beziehen.

Soll die Schöpfung als Ganzes voranschreiten, sich höherentwickeln und zur wahren Erfahrung ihres inneren Gehaltes gelangen, d. h. zu der ihr zugrunde - liegenden Unendlichkeit an Glück, Erkenntnis, Frieden und Vollkommenheit, dann hat dies durch den Menschen zu geschehen, der nicht nur der bewusst und selbstbewusst Handelnde in einem unbewussten und in einem unbelebten Naturreich ist, sondern in welchem Mensch und Gott - oder das Individuelle und das Absolute - beisammenwohnen und zusammengehören. Somit wird die unendliche Wirklichkeit des Göttlichen nicht anders verstehbar als über den Menschen und durch den Menschen. Die Schöpfung gelangt nur über den Menschen zur vollen Erfüllung des ihr innewohnenden Strebens nach Höherentwicklung - des Strebens, über sich hinauszuwachsen und die eigene innere Essenz zu erkennen.

Dem Menschen, als einem sich selbst wie alles andere wesensmässig Transzendierenden, wohnt ein ontologisches Streben inne. So ist er nicht nur in der Lage, sich von seinen persönlichen Umwelterfahrungen zu distanzieren und die Welt um sich her auf eine Weise zu beobachten, aus welcher sich eine Vielzahl von Spezialwissenschaften ergibt, sondern er kann über den Erfahrungsbereich der äusseren Welt überhaupt hinausgelangen, neue Horizonte erreichen und das innere Wesen erkennen. Es ist ihm also nicht nur möglich, die äussere Welt zu erforschen, sondern auch seine eigene subjektive, psychologische Innenwelt kennenzulernen. Doch sind seine Möglichkeiten damit noch nicht erschöpft. Der Mensch kann über den Bereich der psychologischen Selbsterforschung hinaus auch das Wesen seines dahinterliegenden psychischen Seins in den Griff bekommen, und selbst von diesem psychischen Sein kann er sich erkennend distanzieren und dessen Funktionen beobachten. Er kann bis zum zentralen Beobachtenden in sich vorstossen, so dass sowohl die objektive als auch die subjektive Welt sich seiner forschenden Aufmerksamkeit als Beobachtungsbereich erschliesst, während er sich selbst auf den Standpunkt des inneren Wahrnehmenden zurückzieht. In dieser innersten Beobachtung bzw. Erfahrung sind die Dimensionen ontologisch. Hier befindet sich die ontologische Wirklichkeit, das unvergängliche Sein, das unendliche Subjekt. Hier, wo es sich um die Essenz des Menschen, um die zentrale Wirklichkeit im Menschen handelt, ist keine Objektivierung mehr möglich. In diesem eigentlichen Genius, diesem Göttlichen im Menschen, lassen sich keine Dimensionen mehr finden, und doch sind alle Dimensionen darin enthalten, ebensosehr wie alle Raum-Zeit-Ordnungen. So wie der leere Raum alles in sich enthält, so befindet sich auch alles in dieser zentralen Wirklichkeit, mit welcher der Mensch seiner inneren Struktur nach organisch verbunden ist. Vom empirisch-psychologischen Standpunkt aus betrachtet lässt sich sagen, dass das Bewusstwerden dieser ontologischen Wirklichkeit dem Menschen ein Gefühl grosser Stärke verleiht. Aus der tieferen Erkenntnis dieser inneren Realität entsteht ein Sinn für das Unsterbliche im Menschen, ferner das Gefühl, im Besitz grenzenlosen Friedens zu sein, an einem unbegrenzten Glück teilzuhaben, über Zeit und Raum erhaben und Herr aller Schöpfung zu sein, und schliesslich das deutliche Empfinden, im Göttlichen verwurzelt zu sein und an Seinem Wesen teilzuhaben.

Je mehr wir von dieser unwandelbaren Wirklichkeit erkennen, umso mehr offenbart uns das Leben seine Bedeutung, umso mehr auch seinen hohen Wert und seine wahre, unvergängliche und unangreifbare Würde. Kein Menschenbild besitzt wahre Gültigkeit, das nicht in organischer Verbindung mit dieser zentralen Sicht des Menschen steht. Diese ist fundamental und schliesst alle anderen Sichtweisen ein, indem sie alle Wissensgebiete umgreift. Unsere in Fachgebiete aufgeteilte Wissenschaft kann nur Teilansichten der äusseren Struktur des Menschen bieten, und keine dieser fraginentarischen Sichtweisen ist ihrerseits dazu in der Lage, die Menschheit dem Frieden, dem wahren Glück und Fortschritt, der eigentlichen Wahrheit oder auch nur der Solidarität unter den Menschen entgegenzuführen, wenngleich jede dieser Teilansichten an sich gültig und wertvoll sein mag. Sie alle könnten mit Gewinn ausgewertet und in diese fundamentale Sicht des Menschen integriert werden, eine Sicht, die ihn als unvergängliche Wesenheit und als unendliches Sein im unvergänglichen und endlichen äusseren Wesen erkennen lässt, die vor unserer inneren geistigen Schau und Erfahrung offen darliegt, und durch entsprechende Erfahrungen anderer bestätigt wird. Die Dimensionen der Wirklichkeit im Menschen weisen allerdings über das hinaus, was dem menschlichen Denken fassbar ist.

Was Gott ist, das ist im Grunde auch der Mensch, und alle menschlichen Probleme entspringen letztlich dieser Tatsache, dass wir weit grösser sind als wir zu erkennen vermögen. Unsere Grösse ist die Ursache aller Probleme, und so lange wir nicht bewusste, dynamische Kenntnis davon haben und in bewusstem Kontakt mit dieser Grösse unseres Inneren stehen, findet keines der Probleme im Äusseren seine endgültige Lösung.

Die Menschheit hat es schon mit allen möglichen Kulturformen versucht. Zahlreiche Kulturen sind im Verlauf menschlicher Geschichte erstanden, und die Wissenschaft ringt heute darum, nicht nur den Umfang unseres Wissens zu mehren, sondern auch die fundamentalen Lebensprobleme zu lösen. Das ist bisher nicht gelungen, und der Erfolg ist nur dann möglich - und sicher! - wenn die zentrale Wahrheit über die grundlegende Natur des Menschen in Betracht gezogen wird. Sehen wir im Menschen also nicht nur ein in die Gesellschaft eingeghedertes Lebewesen irgend eines Staates, und nicht nur ein von der Natur Geschaffenes, sondern auch - und grundlegend - eine Offenbarung der letzten und höchsten Wirklichkeit, jemand, in dem die Vollkommenheiten des Unendlichen latent vorhanden sind und nach Ausdruck verlangen. Eine solche Sicht des Menschen könnte auch zum Schrittmacher für weitere wissenschaftliche Fortschritte werden, indem sie den Human- und den Naturwissenschaften als Leitstern dient.

Der Mensch gibt sich mit keiner erreichten Höhe seiner Genialität jemals zufrieden. Kein Wissenschaftler, wie gross auch immer, begnügt sich mit dem Erreichten. Kein Künstler, auch nicht ein Komponist mit dem Genius eines Beethoven oder Bach, ist von seinem Kunstschaffen jemals ganz befriedigt. Kein Mensch, wie mächtig und wie reich auch immer, hat je genug Macht oder Reichtum. Er scheint dazu verurteilt zu sein, in seinem Wesen stets ein Gefühl des Unbefriedigtseins zu haben. Er ist nicht daraufhin angelegt, in diesem empirischen Raum-Zeit-Universum oder im Bereich des Äusseren, letzte Erfüllung zu finden. Er kann nur durch die Entdeckung und bewusste Erfahrung des ihm innewohnenden unendlichen Wertes und seiner unendlichen Würde zur Erfüllung gelangen. Das ist der Grund, warum der Mensch beständig auf der Suche nach mehr Glück und dauerhaftem Glück ist, nach mehr Frieden und nach dauerhaftem Frieden, nach einem Mehr an schöpferischem Bewusstsein, das sich beständig aus sich selbst erhält. Immer herrscht ein Verlangen nach dem Grösseren, dem Höheren, nach einem Mehr. Hierin sehen wir eine Auswirkung des Druckes, den die ontologische Wirklichkeit im Menschen auf sein psychologisches Wesen ausübt. Diese Wirklichkeit muss entdeckt werden.

Der Mensch ist eine überkosmische Wirklichkeit und trägt Fähigkeiten in sich, die über ihn hinausweisen, transzendierende Kräfte, die dem Wesen des Absoluten, des Unendlichen, der göttlichen Wirklichkeit gemäss sind. Die Fähigkeiten, die der Mensch gegenwärtig im täglichen Leben und im Bereich spezialisierter Forschung einsetzt, sind offensichtlich begrenzt. Die Wissenschaft selbst bestätigt, dass der Mensch nur einen Bruchteil der in ihm liegenden Möglichkeiten nützt. Wieviele Bereiche seines inneren Wesens überhaupt brachliegen, lässt sich mit wissenschaftlichen Mitteln wohl kaum feststellen. Möglichkeiten über Möglichkeiten, Kräfte über Kräfte liegen in uns verborgen, während der Mensch, so wie wir ihn vor uns sehen und empirisch erforschen können, ein äusserst begrenztes Wesen ist. Doch ruft sowohl das Bewusstsein seiner Beschränktheit als auch der Druck, den das ontologische Wesen in ihm erzeugt, ständig neues Streben wach, lässt neue Hoffnungen entstehen und neue Horizonte sich auftun. Beide sind somit geeignet, die innere Höherentwicklung des Menschen voranzutreiben. Im übrigen sollten wir einerseits unsere kritischen Fähigkeiten weitgehend entfalten, unsere Unterscheidungskraft üben und die Begrenzungen erkennen, denen unser Leben unterliegt, und andererseits unser höheres Wesen, Weisheit, Hingabe und die höheren Wahrnehmungskräfte entwickeln, so dass die innere Wirklichkeit in uns mehr und mehr aufleuchtet und etwas von unserer Unzerstörbarkeit offenbar wird und unsere grundsätzliche Meisterschaft im Bereich der kosmischen Manifestation zeigt. Diese Sicht vom Menschen sollten wir mit den Betrachtungsweisen der verschiedenen Fachwissenschaften konfrontieren und diese unterschiedlichen Teilansichten der zentralen Schau vom Menschen integrieren. In der Entfaltung unseres göttlichen Wesens liegt die Lösung unserer Probleme auch im äusseren Bereich, denn - wie schon gesagt -entspringen diese letztlich unserer fundamentalen inneren Grösse, die dem Menschen bei keiner begrenzten Errungenschaft Halt zu machen gestattet. Der Grund dafür ist, dass etwas in seinem Inneren ihn antreibt und ihm sagt, dass noch viel grössere Kräfte in ihm sind. Je mehr sie entfaltet werden, umso stärker drängen sie zu weiterer Entfaltung. Für die Grösse Gottes gibt es keine Grenzen, auch für die göttliche Wirklichkeit im Menschen gibt es keine Grenzen der Schönheit, der Musik, der Erkenntnis, des Lebens, der Freude und des Friedens, keine Grenzen irgend eines nur vorstellbaren Wertes, keine Grenzen in Kraft und Vollkommenheit.

Wie hebt sich doch eine solche Anschauungsweise vom Hintergrund modernen Denkens ab! Wie viel hat der Mensch in der heutigen Wissenschaft von seinem Wert, von seiner Bedeutung und Mächtigkeit eingebüsst! Die Astronomie bezeichnet unsere kleine Welt als ein Klümpchen Materie, das sich um unsere verhältnismässig kleine Sonne dreht, und unser Sonnensystem ist wiederum nur eine kleine Welteninsel im grenzenlos weiten Interstellarraum des grösseren Universums. Im Wissen um die ungeheuren Weiten des Raumes hat die Erde viel von ihrer Bedeutung und Würde eingebüsst, und die Wissenschaften fügen dem noch ihre mechanistische, materialistische Interpretation des Menschen hinzu. Der Mensch hat nicht nur in der Astronomie, sondem seit Darwin auch in der Biologie seine frühere Bedeutung verloren. Er ist zu einer besonders begabten, unbehaarten Abart des Affen herabgesunken. Wenn dies auch nicht in jedem Fall so deutlich ausgesprochen wird, so ist die einmalige Sonderstellung des Menschen in der Natur, seine Würde als die Krone der Schöpfung, dennoch entwertet.

Ein weiterer Angriff auf Würde, Wert und Grösse des Menschen kommt aus dem Bereich der behavioristischen Psychologie sowie der Tiefenpsychologie. Die Einmaligkeit des menschlichen Geistes wird in der materialistisch-mechanistischen Darstellungsweise entwertet und ins Lächerliche gezogen, die Freiheit des Menschen wird zur Illusion gestempelt und seine Ethik als Rationalisierung unethischer Impulse abgetan. Durch Freud erfährt die Würde des Menschen noch weitere Einschränkungen.

Das Menschenbild, das sich von der heutigen Naturwissenschaft und Psychologie inspirieren lässt, ist tatsächlich bedrückend, und das Ergebnis zeichnet sich im Antlitz der Menschheit ab. Der Sinn für Bedeutung und Ziel des menschlichen Daseins ist verloren gegangen. Selbst die technischen Errungenschaften in unserer Umwelt scheinen den Menschen noch mehr in seinem Wert zu schmälern, indem sie ihn gerade in jenen Fähigkeiten überflügeln, die er für seine höchsten hält - wenn wir etwa an die modernen Computeranlagen, die sogenannten Elektronengehirne, denken.

Vor dem Hintergrund dieses Menschenbildes, wie es sich aus den verschiedenen Wissenschaftszweigen ergibt, wirkt eine Aussage wie die, im ersten Johannesbrief niedergelegte, befremdend und befreiend zugleich: "Der in euch ist, ist grösser als der in der Welt ist", heisst es da - und dieses Grössere in uns ist Gott selbst. Wir sind damit als Träger des Göttlichen ausgewiesen, des göttlichen Christus, der eins ist mit dem Vater. Der Mensch wird hier nicht nur auf seine ursprüngliche Stellung als Krone der Schöpfung verwiesen, sondern mit unbegrenzter Würde umkleidet und über die Schöpfung hinausgehoben. Dadurch wird auch seinem äusseren Leben und Schaffen höchste Bedeutung verliehen.

Die nächste Stufe innerer geistiger Erfahrung lässt uns erkennen, dass dieses Grössere in uns unser eigentliches inneres Sein ist. Dies erhellt von neuem die dem Menschen zukommende unvergängliche Würde. Das Menschenbild, das aus dieser Aussage spricht, wird von zahlreichen Offenbarungsschriften wieder und wieder bestätigt und gestützt.

Es fehlt uns nicht an Mitteilungen über dieses unsterbliche, unvergängliche Grössere in uns. Alle Religionen stellen in ihrer Essenz und in ihrem besten Geiste Bemühungen dar, den Menschen der Erfahrung dieser zentralen Wirklichkeit in der menschlichen Konstitution näherzubringen.

Es gibt nichts Grösseres als diese Wahrheit und Wirklichkeit. Sie ist unvergänglich und in uns gegenwärtig, und wir sind in ihr enthalten, verfügen in ihr über grenzenlose Freiheit und gewinnen durch sie unsere ursprüngliche Grösse wieder, so dass wir unsere wahre Stellung im Kosmos erkennen können.

Der Raum, den wir im äusseren Universum antreffen, und der die Wissenschaft erstaunt - all die ungeheuren Weltenräume sind keineswegs grösser als dieses Grössere in uns. Der ganze Kosmos lässt sich von dem inneren Sein in uns zusammenrollen wie ein kleiner Teppich. "Der in euch ist, ist grösser als der in der Welt ist". Es ist das transzendente Prinzip; und da diese Gegenwart in uns liegt, sind wir an unsere menschlichen Begrenzungen nicht unentrinnbar gebunden. Es lässt sich keineswegs bestreiten, dass der Mensch voll niedriger Impulse, primitiver Triebe und Tendenzen steckt, doch sind diese unbedeutend, verglichen mit jenem Grösseren in uns. Wir sind nicht dazu verdammt, Sklaven dieser unserer niederen, tierähnlichen Wesensart zu sein. Wir tragen Fähigkeiten in uns, die über sich hinausweisen und uns über uns selbst hinausgelangen lassen. Der Mensch ist kein Tier unter Millionen Tieren, nicht ein Gegenstand unter Millionen Gegenständen; er ist vielmehr das erfahrende Subjekt selbst, der Träger der unendlichen Wahrheit.

Der Mensch ist weit mehr als sein äusseres Bewusstsein und sein Unbewusstes. Er steht seinem Wesen nach über all diesen Trieben und Tendenzen, Erinnerungen, Eindrücken und Bildern des Unbewussten, und er ist grösser als sein Erleben im bewussten Bereich: er ist das Abbild, das Ebenbild Gottes. Dieses Bildnis des Göttlichen in ihm ist höchstpotenziertes Bewusstsein, ist voll unendlichen geistigen Gewahrseins, voll Licht, ist unwandelbar und ewig, während das Unbewusste nicht nur voll dunkler Regionen, sondern auch mancherlei Bedingungen und Veränderungen unterworfen ist. Ja, das Unbewusste kann tatsächlich nicht nur unwillkürliche Veränderungen verursachen, sondern es kann auch ganz willkürlich einer Umwandlung unterzogen werden. Diese vollzieht sich, indem wir Licht aus dem höheren geistigen Bewusstsein hineinbringen.

Auch die Bibel spricht von einer Erneuerung im Geiste, von einer Neugeburt, und diese ist erst dann vollzogen, wenn wir die menschlichen Schwächen und Begrenzungen überwunden haben werden.

Der Mensch steht an erster Stelle in der Schöpfung. Er trägt zahllose Möglichkeiten in sich. Wer kann die Kräfte und Fähigkeiten im Herzen der göttlichen Wahrheit ermessen? Die Kräfte und Eigenschaften des Unendlichen sind auch diejenigen des Menschen. Die Grösse des Menschen ist unbeschreiblich und unermesslich. Er ist nicht nur grundsätzlich dazu fähig, mit einem Plato zu denken, mit einem Franziskus zu fühlen, wie ein Beethoven oder ein Bach Musik zu komponieren oder wie Goethe zu schreiben - seine Grösse ist ohne Grenzen, weil dieses Grössere in uns einen unendlichen Reichtum an Schönheit, Frieden und Freude birgt. Dieses Grössere in uns kennt seine eigenen und besonderen Mittel und Wege, sich in unserem durchlichteten, gereinigten und überhöhten Wesen zum Ausdruck zu bringen.

Es ist über jede noch so grosse Kraft erhaben. Die aus dem Atom befreite Energie kann wohl ungeheure Zerstörungen anrichten; und im Weltraum finden sich Energien vor, die jedes Fassungsvermögen übersteigen und die den Kosmos selbst zerstören können; doch sie alle haben keine Macht über das grössere Sein in uns.

Es gibt keinen Frieden in der Schöpfung, der grösser wäre als der Frieden, den die Wahrheit in sich trägt. In unserem grösseren Sein befindet sich unendliche Stille, Ruhe und Frieden - ein Frieden, der alles Verstehen übersteigt, der Friede Gottes.

In ihm liegt unendliche Schönheit - die Schönheit aller Schönheiten, die unvergängliche, ewige Schönheit. Sie ist unser Herz, sie ist unser wahres Sein. Dies sollte erkannt, erfühlt und erfahren werden. Die Fähigkeiten dazu liegen in uns selbst. Wir sind keineswegs ohne die Mittel, um dieses grössere Sein in uns zu erleben. Über diese wunderbare Aussage der Bibel sollten wir nachdenken und immer neue Deutungen von ihr entdecken, die auf unser Leben Einfluss nehmen, es nach dem Göttlichen gestalten und es furchtlos, friedlich, gesegnet und erfüllt sein lassen.

Dieses grössere Sein in uns ist unbegrenzte Liebe, ist bedingungslose Liebe. Darum sagt das geistige Herz: "Ich werde alle und alles lieben, denn das grössere Sein in mir ist grenzenlose und bedingungslose Liebe." Demnach erkennt man den geistigen Menschen am vorherrschenden Merkmal einer unbegrenzten Liebe, die er im täglichen Leben offenbart.

Dieses grössere Sein ist auch Licht. Es ist ein Licht, das sich allen menschlichen Begriffen entzieht. Es ist Verstandeslicht, das Licht der höchsten Intelligenz, des höchsten Bewusstseins, welches das Leben des geistig Strebenden durch innere Leuchtkraft und Intelligenz auszeichnet.

Dieses Grösste in uns ist unendliche, göttliche Erkenntnis, die mit ihrer unvergleichlichen Lichtfülle auch die höchste menschliche Genialität übertrifft.

Solange wir die Welt durch unsere Sinne und unsere begrenzten geistigen Fähigkeiten erfahren, werden wir wahre Freiheit nicht finden. Wir müssen die Welt mit den Augen der Wahrheit -mit dem grösseren Sein in uns - betrachten, um jene Freiheit zu erleben. Dieses Höchste in uns ist das Königreich Gottes ist Gesegnetsein, weshalb das Leben des geistig Strebenden, der sich mit Beharrlichkeit der Gegenwart dieses Königreiches hingibt, durch Reichtum und Fülle gekennzeichnet ist. Wir erleiden keinen Mangel im geistigen Herzen, jede Fülle ist vorhanden, die Fülle der Liebe - und die der Reinheit, denn was könnte die Wahrheit in uns beschmutzen? Unsere Gedanken und unser Körper mögen unrein sein, das Herz mag sich verfinstern, doch wer vermag die Wahrheit - den Herrn in uns - zu beflecken? Sie ist vollkommene Reinheit -reiner als der leere Raum. Die Luft können wir verschmutzen, nicht aber den Raum, denn Raum ist subtiler und für alle Unreinheiten, die er in sich birgt, unerreichbar. Er kann nicht verbrennen. Wir können die Welt in Flammen setzen und in Staub und Asche verwandeln, und doch wird der Raum selbst nicht in Asche zerfallen. Ein subtiles Prinzip wie er, kann weder vom Feuer noch von Unreinheiten berührt werden.

Unendlich viel subtiler als der Raum aber ist die Wahrheit, das göttliche Bewusstsein, in uns. Es kann nicht verunreinigt werden. Deshalb beobachten wir am geistig Strebenden einen Charakter höchster Reinheit. Der geistig strebende Mensch ist von der Hand des Göttlichen berührt und lebt in dieser ständigen Berührung als ein Mensch voll innerer Leuchtkraft.

Da das grössere Sein in uns eine Verkörperung der unendlichen Reinheit ist, sollen wir Reinheit zum Ausdruck bringen, und sie in Gedanken und Gefühlen pflegen. Eine psychologische Selbstumwandlung ist unentbehrlich, wenn die Unreinheiten, die unserem Wesen durch das Unbewusste auferlegt sind, ausgelöscht werden sollen. Und dies wiederum ist die Voraussetzung, um für dieses Grössere in uns empfänglicher zu. werden. Durch grosse, lichtvolle Reinheit wird es möglich, die Schätze unseres höchsten Seins zum Ausdruck zu bringen.

Wir sehen also, wie gross das Leben ist, allein schon aufgrund der einfachen Tatsache, dass es die Wahrheit in sich birgt und dass dieses grössere Sein, der Herr oder die göttliche Wirklichkeit, sich in uns befindet. Unsere Befürchtungen, Ängste und Sorgen sind ganz unnötig, denn dieses grössere Sein ist ja beständig bei uns, ist untrennbar mit uns verbunden, und es ist nicht etwa eine abstrakte Wirklichkeit, nichts, das sich nicht unmittelbar und sofort auswerten liesse. Tatsächlich ist es die konkreteste aller Realitäten, welche antworten kann, die alles sieht und vermerkt, selbst dann, wenn der Mensch schläft. Sie ist als nimmermüdes Licht zugegen. Sie ist grenzenlose Intelligenz, ein antwortbereites Herz voll unbegrenzter Liebe, nicht ein abstraktes Prinzip, das Wahrheit genannt wird, sondern eher eine lebendige Persönlichkeit, die allem Beachtung schenkt, und durch deren Gnade dieses hohe Streben in uns ist und auch Erfüllung findet. Es ist eine hörende und erhörende Gegenwart, der alles zu verdanken ist, die grösste Bank, die grösste Macht, der Schatz, das Königreich in uns, mit dem wir alles besitzen.

Gott hat den Menschen nach Seinem eigenen Bildnis erschaffen. Er tat dies auf ganz einzigartige Weise. Die menschliche Fassungskraft, die menschliche Vernunft steht durch ihre Begrenztheit vor unzähligen Rätseln, so dass es geradezu kennzeichnend für sie ist, die Dinge nicht voll und nicht richtig zu verstehen. Sobald wir den Satz hören: "Gott erschuf den Menschen nach Seinem eigenen Bilde", legt ihn unser Verstand auf seine eigene begrenzte, und fragmentarische Weise aus, mit dem Ergebnis, dass wir nicht wirklich Einsicht in die Bedeutung dieser grossen Wahrheit gewinnen. Was sagt nun die geistige Erfahrung in bezug auf diese Behauptung ? Sie stellt fest, dass Gott den Menschen aus Seiner eigenen Substanz und Seinem eigenen Wesen entsprechend gebildet hat, und dass Er sich selbst in den Menschen hineinversetzte, auch wenn Er sich nicht völlig in ihm verliert. Er behält demnach Seine Identität und Seine Transzendenz, selbst während Er sich im Menschen zeigt.

Ziehen wir zum Vergleich das Meer heran! Man könnte sagen, es habe die Wellen nach seinem eigenen Bild und auch aus seiner Substanz hervorgebracht. Die Art und Weise, wie der Ozean die Wellen bildet, ist völlig verschieden von der Art, wie ein Bildhauer ein Kunstwerk gestaltet. Der Bildhauer befindet sich nicht selbst in der Skulptur, die er geschaffen hat, während sich das Meer in den Wellen befindet, die es hervorbringt. Wenn wir den Eisberg betrachten, der im Ozean treibt, und uns fragen, wer ihn erschaffen hat, so lautet die Antwort: der Ozean. Nun, der Bildhauer hat seine Skulptur aus Marmor oder aus Holz oder dergleichen hergestellt. Doch woraus, aus welcher Substanz bildet der Ozean seinen Eisberg? Aus seiner eigenen - aus sich selbst hat er ihn geformt. In ähnlicher Weise hat Gott den Menschen erschaffen. Nachdem der Ozean den Eisberg aus sich selbst hervorbrachte, befindet er sich selbst in diesem und rings um ihn her.

Hat sich die Substanz des Ozeans nun durch diese Schöpfung verringert? Gewiss nicht. Ebensowenig kann sich Gott je erschöpfen, indem Er den Menschen nach Seinem Bilde erschafft und in ihm gegenwärtig ist. Doch weil Er ihn nach Seinem eigenen Bilde erschaffen hat, ist im tiefsten Inneren des Menschen etwas von diesem Göttlichen, ja das Herz Gottes, das Zentrum Gottes, zugegen. Dieser Gott im Menschen, diese göttliche Seinsgrundlage, dieses Bildnis des Höchsten, das alle Eigenschaften und alle Fähigkeiten des Schöpfers in sich trägt, also vollkommen ist wie der Schöpfer, - dies sollte erkannt und erfahren werden.

Es ist gleicherweise der Geist Christi in uns, das Königreich, eben jenes Göttliche im Menschen, das uns befähigt, die höchste Gottheit zu erleben. Mit anderen Worten: Das Bildnis Gottes in uns erfährt Gott.

Was aber hat es mit unserem Körper, unserem Denken und Fühlen auf sich, die doch so begrenzt und unvollkommen sind, die Fehlern und Schwächen ausgesetzt sind und schmerzlichen und freudigen Erlebnissen erliegen? Sie stellen nur eine äussere Struktur, ein empirisches Gebilde dar, das sich unserer Erfahrung darbietet. In diesem jedoch befindet sich die Substanz, das Licht, der Geist Gottes. Mehr noch, in dieser wandelbaren, äusseren, vergänglichen Form ist das Bild des Göttlichen gegenwärtig, befindet sich das unvergängliche, unwandelbare, allvollkommene, allschöne und allbezeugende Abbild des Göttlichen. Darum sagt Christus zu uns: "Das Reich Gottes ist in eurer Mitte".

Wie sollen wir also den Begriff 'Mensch' festlegen, wenn eine Definition verlangt wird? Gibt man die Definition des Biologen, des Soziologen, des Psychologen, des Politikwissenschaftlers wieder, dann greift man daneben, weil ihre Beschreibung nur für die äussere Struktur zutrifft und die grösste Wahrheit unberücksichtigt lässt, nämlich die Wahrheit, von der die Bibel spricht, und die von den Menschen mit Gotterfahrung immer wieder bestätigt wird: dass das Bildnis Gottes sich im Menschen befindet.

Teilansichten des Menschen, wie sie von Fachwissenschaftlern abgegeben werden, mögen an und für sich zutreffend sein, doch verleiten sie leicht zu einem Leben, das der zentralen Wirklichkeit im Menschen und einem umfassenden Menschenbild nicht gerecht wird. Die Feststellung, der Mensch sei ein biologischer Organismus, ist durchaus wahr; doch ist dies eine begrenzte Tatsache, bei der viele Faktoren unerfasst bleiben. Der Mensch ist in der Tat nicht nur ein biologischer Organismus unter anderen, er ist bei weitem mehr als sein Körper und seine Intelligenz. Er trägt ein reiches Bewusstsein voll verschiedenartigster Fähigkeiten in sich. Er ist auch eine psychologische Einheit. Wollte man ihn hingegen lediglich als ein psychologisches Wesen oder als eine psycho-physische Einheit definieren, wäre die Beschreibung wiederum nur bruchstückhaft und angesichts der höheren Wirklichkeiten, die sich in ihm vorfinden, unzutreffend. Der Mensch ist mehr als ein biologischer Organismus, mehr als eine psycho-physische Einheit, mehr als ein Objekt unter Objekten, mehr als ein Vernunftwesen, mehr als eine soziale Einheit, mehr als eine Materiestruktur -weil sich dieses Bildnis Gottes in ihm befindet und die unwandelbare Wahrheit in diesem veränderlichen Körper, Herzen und Denken zugegen ist. Diese unwandelbare Wahrheit sollten wir kennenlernen. Sie ist das Bildnis des Ewigen in uns.

Gott lebt also in beständiger Gemeinschaft mit dem Menschen. Er ist immer bei uns und kann nicht von uns getrennt werden. Er ist der Ozean. Wie könnte das Meer je vom Eisberg geschieden werden? Es ist innigst mit ihm verbunden. Genauso befindet sich Gott dauernd in lebendiger Verbindung mit uns. Niemand kann ohne Ihn existieren. Demnach ist also ständig jemand bei uns und begleitet uns, wohin immer wir gehen, beobachtet unsere Gedanken und Gefühle, beschützt uns mit Allmacht und allerbarmendem Herzen. Unsere Gedanken vergehen, unsere Gefühle wechseln, die Umgebung verändert sich. Selbst unsere Blutzellen werden ausgewechselt. Alles ist dem Wandel unterworfen,doch dieses Bildnis Gottes in unserem Inneren, das zugleich der allwissende Geist Christi und das Königreich voll unendlichen Reichtums, voll Schönheit, voll Freude und Leben ist, verändert sich nicht. Es ist die unwandelbare, ewige Wahrheit, und aus dieser hat Gott uns erschaffen. Viele Mystiker haben dies erkannt, und viele Heilige haben es erlebt. Grosse Philosophen sind auf dem Wege der Vernunft zu dieser Einsicht gelangt. Aber auch schlichte, einfache Menschen voll Herzensgüte, deren inneres Wesen geläutert und von entstellenden Faktoren befreit ist, nehmen Einblick in diese Wahrheit, die Befreiung schenkt und der Felsengrund ist, auf dem unser Leben seinen festen Halt gewinnt. Wenn unser Herz und unser Bewusstsein so in der unwandelbaren Wahrheit verwurzelt ist, kennen wir keine Ängste und Befürchtungen mehr.

Menschen, die diese unvergängliche Wirklichkeit in sich selbst erkannt haben, die um den Geist Christi, um die Wahrheit, um das Bildnis Gottes, um dieses unvergängliche Sein in uns wissen, haben alle Todesfurcht überwunden. So erinnern Sie sich an die unwandelbare Wahrheit, an das unvergängliche ewige Sein im Wandelbaren Ihres Körpers und Ihrer äusseren Persönlichkeit.

Unbegrenzte, unendliche, grenzenlose Freiheit - das ist unser eigentliches Wesen. Gemeint ist wieder-um das Göttliche in uns, der Geist Christi in uns, die Existenz der Existenz in uns - eine Freiheit ohne Grenzen. So beschreiben wir also den Menschen als das Prinzip der unendlichen, unbegrenzten Freiheit in einer Persönlichkeit, die beständig Begrenzungen ausgesetzt und in ihrer Freiheit behindert ist, denn der Mensch ist Veränderungen ausgeliefert und in Grenzen und Bindungen eingespannt. Er kämpft auf den verschiedensten Gebieten um Freiheit, doch alle diese Freiheiten sind begrenzt, abhängig und unnatürlich, was zwangsweise dazu führt, dass sie ihm früher oder später wieder entgleiten. Es gibt nur eine einzige Freiheit, die wahrhaft unabhängig, unbegrenzt und natürlich ist, die unser eigentliches Wesen und die Essenz unseres Daseins ist, und sie ist die lebendige Form und Substanz Gottes. Darum könnte man den Menschen auch als das Antlitz der unbegrenzten Freiheit bezeichnen - durch einen Körper und eine Persönlichkeit beengt, die ihn einer schmerzlichen Unfreiheit ausliefern. Jedoch die unbegrenzte Freiheit sollten wir bedenken und mit allen Mitteln erstreben: durch Gebet, Meditation und liebendes Dienen, durch Streben nach Wahrheit und Wachstum im geistigen Wesen sollten wir eine lebendige Erkenntnis und Erfahrung dieser uneingeschränkten Freiheit gewinnen.

Lange schon sucht der Mensch nach dem Frieden und hat ihn doch nie gefunden. Unzählige Kriege sind geführt worden, und auch heute ist die Menschheit noch nicht von diesem Übel befreit. Frieden ist der Erdenmenschheit etwas Fremdes, und der Friede, den sie kennt, ist ein zerbrechliches Glas, das jeder Windhauch umstösst. Wo sollen wir wahren Frieden finden? Dieses Bildnis des Göttlichen in uns ist der unendliche und wahre Friede, der unserem Wesen natürlich ist und der auch dann bestehen bleibt, wenn jeder andere Friede zerbricht. - So kann man den Menschen auch als den grenzenlosen Frieden beschreiben - in einem psycho-physischen Organismus der beständigen Ruhelosigkeit ausgesetzt.

Der Mensch hält Ausschau nach Ruhe, Einsamkeit und Stille. Er baut sich sein Haus am einsamen Berghang, doch bleibt er dennoch nicht vom Lärm verschont: Flugzeuge fliegen über ihn hinweg, und in seinem Denken wie in seinem Herzen gibt es keine Stille, auch wenn die äussere Umgebung ruhig ist. Der Lärm im Inneren geht weiter, auch wenn die Umwelt einmal ruhig ist. Der Mensch kann also weder in seinem psychologischen Erleben noch draussen in der Welt wirklich Stille, Ruhe und Frieden finden, denn der wahre Friede befindet sich tief drinnen im Bildnis des Göttlichen, nach dem Gott den Menschen erschuf. So sollten wir den Menschen als unendliche, unbegrenzte Stille beschreiben, in einer äusseren Form und Struktur, die beständig dem Lärm und der Unruhe ausgesetzt ist. Wenn Sie immer wieder über diese wunderbare Wahrheit über das Bildnis des Göttlichen nachdenken, dann wird das Herz still, die Seele schön; die ganze Persönlichkeit wird dynamisch und lässt sich von göttlicher Erkenntnis leiten, anstatt von Ruhelosigkeit geplagt zu sein. Das Leben erhebt sich über Freud und Leid und ist fest in der Freude des unbegrenzten Göttlichen verankert. Diese Reichtümer zu erfahren und das äussere Leben von diesen Schätzen überquellen zu lassen, sind Sie in diese Welt hineingeboren.

Alle Lebenstätigkeiten, die ganze Zielrichtung menschlicher Existenz sollten auf die Erfahrung und den bewussten Besitz dieser Schätze ausgerichtet sein. Das ist in der Feststellung, dass Gott den Menschen nach Seinem Bildnis erschaffen hat, enthalten. Lassen wir diese Tatsache unberücksichtigt, dann laufen wir blindlings durch die Welt und begehen Fehler. Es entgeht uns dann der Friede.

Wir verfolgen vergängliche Ziele und sind voll von Angst und Ruhelosigkeit, auch wenn wir in den allerbesten Verhältnissen leben und die wundervollsten Freunde besitzen. Darum sollten wir die unabtrennbare Gegenwart dieses Bildes Gottes in uns zu erkennen suchen. Es liegt hier das Wunder aller Wunder verborgen. Nehmen wir einmal an, der Eisberg schmilzt zurück ins Meer. Was geschieht? Er erwirbt die Macht, das Bewusstsein, die Grösse und Schönheit des Meeres und kann sich rühmen, Millionen Schiffe und Boote an seiner Oberfläche zu tragen und Billionen Lebewesen in seinen Tiefen zu nähren. Wenn es uns gelingt, unser Herz und unser Bewusstsein in der göttlichen Wahrheit in uns aufgehen zu lassen, sei es durch tiefere Erkenntnis, durch innere Betrachtung oder durch intensive Liebe und Hingabe zum Göttlichen und die daraus folgende Leuchtkraft und Reinheit des Wesens, dann werden wir eins und identisch mit diesem Bildnis Gottes in unserem Inneren und erlangen so die Kraft und Würde Gottes. Ist dies in uns vollbracht, dann sind wir der Aufforderung der Bergpredigt nachgekommen, vollkommen zu sein wie der Vater im Himmel.

Das Bild Gottes in uns ist grösser als das ganze Universum, das wir im Äusseren sehen. Der Kosmos ist nicht mehr als ein kleines Fleckchen vor dem grossen Sein des grenzenlosen Schöpfers. Da sich das Göttliche mit all seinen Dimensionen in uns befindet, werden wir zu Herren über alle Schöpfung.

Unser wahres Königtum liegt in diesem Bild des Göttlichen in uns, das unvergängliche Schönheit, unsterbliches Sein, unwandelbare Wahrheit, vollkommen unabhängiges Glück, unbedingte Stille, Frieden und Vollkommenheit ist. Es gibt keine Vollkommenheit ausser diesem Bildnis Gottes in uns. Wo wäre der Mensch, der vollkommen genannt werden könnte? Kein Denker, kein Musiker, kein noch so reicher Mensch, kein Genie auf welchem Gebiet auch immer, kein Gelehrter oder Wissenschaftler ist jemals vollkommen, wie reich seine Gaben auch sein mögen. Die Vollkommenheit ist nur diesem Bildnis Gottes eigen. Darum wollen wir die Vollkommenheit des Gottesbildes in uns zu verwirklichen suchen. Nicht in den Sinnen, nicht im Körper, nicht in der materiellen Welt, sondern in diesem Bildnis des Göttlichen in unserem Inneren liegt Vollkommenheit. Für diese Gegenwart des Göttlichen sollen wir wach und empfänglich werden; auf diese Wahrheit des göttlichen Wesens in uns wollen wir Antwort geben.

So lassen Sie sich nicht von der menschlichen Begrenztheit hypnotisieren. sondern wenden Sie Herz und Sinn diesem Göttlichen zu. Beziehen Sie Ihre Stärke aus diesem Bildnis Gottes, aus dieser Wahrheit in Ihrem Inneren und erkennen Sie es als das Herz Ihres Herzens, als die wahre Freiheit, nach der Sie in der äusseren Welt vergeblich Ausschau halten- denn deren unerschöpfliche Quelle liegt in Ihrem Inneren. Treten Sie in dynamische und innige Beziehung mit dieser Freiheit, diesem Glück. diesem Frieden, dieser Schönheit, dieser Liebe, diesem Licht. Erkennen wir uns als das unvergängliche Sein in einem vergänglichen Körper, als eine unbegrenzte Freiheit in einer geplagten und begrenzten Persönlichkeit, als die grenzenlose Schönheit, die über alle Schönheit oder Hässlichkeit im Äusseren erhaben ist. Wir halten einen grossen Schatz in Händen, und unser Leben eilt dahin; ehe es uns entgleitet, wollen wir zur Erfahrung des unsterblichen, unwandelbaren Gottesbildes in uns gelangen und es als das Herz unseres Herzens erkennen. Lassen wir uns doch nicht von den Dingen dieser Welt verblenden und von der Zeit zum Narren stempeln! Statt dessen sollten wir mit aller Entschiedenheit und Dringlichkeit dies unvergängliche Sein ins Auge fassen und einen Vorstoss wagen zur tieferen Erkenntnis und Erfahrung dieser grenzenlosen Freiheit. Schönheit, Glückseligkeit und Stille, die sich in unserem inneren Sein befinden. Darin liegt Ziel und Bedeutung unseres Lebens, Sinn und Zweck menschlicher Existenz.

SWAMI OMKARANANDA

 

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